Didier Balissat & Hanae Pfändler
Synthetische Landschaftsmomente
2014
“Dammed up by the mighty wall, the water rises and devours, ever so slowly, steep embankments, fields and cowsheds, flooding a world of unimaginable, nameless tribulation in order to generate energy, warmth and light. I’m gazing at this gigantic venture with bewildered, almost stunned eyes.” – Piero Bianconi, L’Albero genealogico, 1969
Mit dem Beginn der Industrialisierung im 19 Jahrhundert beginnt in der Schweiz der Bau von zahlreichen Stauanlagen zur Stromerzeugung. Von anfänglichen Laufkraftwerken an den Flüssen des Mittellandes, zu Speicherkraftwerken im Alpenraum werden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts grössere Anlagen gebaut. Nach dem zweiten Weltkrieg erfährt der Bau von Staumauern einen grossen Schub. Vor allem in den Jahren zwischen 1950 bis 1970 werden Talsperren gebaut, die mit einer Höhe von über 200 Meter Höhe weltweit Rekorde brechen; Grande Dixence und Mauvoisin im Kanton Wallis, Contra und Luzzone im Kanton Tessin. Die sich rasant entwickelnden technischen Möglichkeiten werden ausgeschöpft und bis an ihre Grenzen weiterentwickelt und angewendet. Die Baustellen und Bauwerke, die als Resultat der technischen Fortschritte in der rauen, alpinen Landschaft entstehen, rufen in gewissen Teilen der Bevölkerung Bewunderung und Begeisterung hervor. In den 70er Jahren wandelt sich jedoch langsam, aber stetig die öffentliche Meinung gegenüber grösseren Infrastrukturanlagen und es findet ein Umdenken statt. Die anfängliche Begeisterung gegenüber diesen technischen Errungenschaften muss einer kritischen Haltung gegenüber Talsperren weichen, welche diese als Symbole verbetonierter Landschaften sieht.
“Landscape is not a natural feature of the environment but a synthetic space, a man-made system of spaces superimposed on the face of the land, functioning and evolving not according to natural laws but serve a community.” – J.B. Jackson, Landscape in Sight: Looking at America, 1999
Die Idee eine fotografische Arbeit über Staumauern zu machen, entsprang aus der Faszination gegenüber den aus menschlicher Hand erschaffenen, monumentalen Bauwerken, die in einem natürlich gewachsenen Landschaftsraum eingebettet sind. Die partielle Zähmung der Natur mit den vorherrrschenden, technischen Möglichkeiten in solch grossen Dimensionen weckte in uns das Interesse diese aufeinanderstossenden Kräfte zu erleben und in einer bildlichen Form festzuhalten.
Staumauern werden in der Natur als artifizielle Bauten dort gebaut, wo sie für den gesellschaftlichen Vorteil gewinnbringend eingesetzt werden können. Es sind primär Nutzbauten, die dem Menschen zur Energieerzeugung dienlich sind. Gleichzeitig werden diese monumentalen Bauten zu einem Sinnbild menschlicher Kraft und Repräsentation der vorherrschenden technischen Möglichkeiten. Diese Orte wirken anziehend und können zu touristischen Attraktionsmagneten werden. Der Mensch siedelt sich um die Staumauern an und nimmt nach und nach die Bergwelt lokal für sich ein; Zugangsstrasse für Verkehr, Hospiz, Restaurant, Ausblickspunkt etc.
In dem Moment, wo der Mensch bewusst einen Eingriff in die Natur macht, wird das natürliche Gewachsene zu einer Landschaft transformiert und zu einem “synthetischen Ort”. Ein natürlicher Ort wird durch den Eingriff des Menschen zu einem artifiziellen Ort, weil er nicht mehr den natürlichen Gesetzen folgt, einem menschlich-erzeugten System gehorcht und einem gesellschaftlichen Nutzen dienlich wird. Die Staumauer als Resultat menschlichen Fortschritts generiert Energie aus den natürlichen Gesetzen der Wasserkraft und wandelt sie wiederum in ein dem Menschen nutzbares Produkt um. In diesem Prozess wird eine Bändigung und Zähmung der Natur beschrieben, die am Ende den vom Mensch geschaffenen Regeln folgt. Und nicht nur am Prozess der Energiegewinnung lässt sich dies darstellen, sondern auch dem tatsächlichen Bau der Staumauer in eine noch naturbelassene Landschaft. Die Staumauer, der Stausee und die unterirdischen Stollen werden in die Natur eingefügt, und nehmen Besitz von ihr und verändern damit das Landschaftsbild zu punktuell artifiziellen Momenten in der Natur. Diese Momente sind das Thema dieser fotografischen Arbeit.
In unserer Arbeit geht es uns weder darum ästhetisierende Bilder von Staumauern eingebettet in einem Landschaftsbild zu zeigen, noch eine kritische Aussage über moderne Technologien und industrielle Fortschrittlichkeiten von heute in Kontrast zu stellen mit der unberührten Natur. Es geht uns darum eine Momentaufnahme zu zeigen von dem heutigen Gegebenheiten der gebauten Staumauern in ihrer Landschaft, die in unterschiedlichen Graden von menschlicher Hand in Besitz genommen wird. Es sind Aufnahmen, die den heutigen Bestand zeigen ohne in der Art und Weise des fotografischen Ausdrucks eine Wertung einzunehmen. Dies bleibt dem Betrachter überlassen.











